Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind bisher auf Medizinprodukte der niedrigen Risikoklassen I und IIa beschränkt. Dies bedeutet, dass Produkte für das Selbstmanagement bestimmter Krankheiten derzeit noch von der Erstattung ausgeschlossen sind. Im Rahmen der aktuellen Digitalisierungsstrategie kündigte das Bundesgesundheitsministerium kürzlich an, dass eine Erstattung über DiGA-Listung zukünftig auch auf Medizinprodukte der Risikoklasse IIb ausgeweitet werden soll.
Doch welche Software-Medizinprodukte fallen in Risikoklasse IIb?
Die Klassifizierung von Medizinprodukten wird durch die Regeln der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) festgelegt. Regel 11 gilt für Software-Medizinprodukte und legt fest, dass Software, wenn sie Informationen für therapeutische und diagnostische Entscheidungen bereitstellt, mindestens in die Risikoklasse IIa fällt, wenn die Entscheidungen zu einem möglichen Schaden führen könnten, erhöht sich die Risikoklasse. Entsprechende Kriterien und auch Beispiele zur Klassifizierung finden sich im Leitfaden MDCG 2019-11.
Im Gegensatz zu Software-Medizinprodukten der Risikoklasse IIa können Klasse IIb Produkte auch bei ernsthaften Erkrankungen oder zur Entscheidungsfindung in kritischen Situationen eingesetzt werden.
Kannst du Beispiele nennen?
- Software-unterstützte Dosierung von Insulin.
Hilft die Software dem an Diabetes erkrankten Patienten bei der Berechnung der zu injizierenden Insulin-Dosis, so fällt das in die Kategorie “Behandlung einer ernsten Erkrankung” und ist somit ein Klasse IIb Produkt - Eine Software, die kontinuierlich Pulsdaten analysiert und Alarm schlägt, wenn z.B. eine potentiell lebensgefährliche Herzrhythmusstörung vorliegt.
Das Pulsgerät alleine wäre noch kein Medizinprodukt der Risikoklasse IIb – die Software, welche dazu gedacht ist, bei einem Patienten mit Vorerkrankung in einer kritischen Situation Alarm zu geben, erfüllt aber die Kriterien für ein Klasse IIb Produkt
Was bedeutet die Änderung für DiGA-Hersteller?
Die Öffnung für die Risikoklasse IIb ist eindeutig zu begrüßen, da sie auch Patienten mit schwereren Erkrankungen die Möglichkeit eröffnet, ihre Krankheit mit Hilfe von Software, die von der Krankenkasse erstattet wird, selbst zu managen, und den Herstellern Anreize bietet, solche Geräte auf den Markt zu bringen.
Für die Zukunft wäre zu überlegen, ob die Öffnung nicht sogar für die höchste Risikoklasse gelten sollte – für Risikoklasse III. Solche Medizinprodukte werden von den Benannten Stellen bereits einzeln geprüft, bevor sie überhaupt auf den Markt kommen können, ob sie für den vorgesehenen Zweck geeignet sind.
DiGA für ganz Europa?
Neben Deutschland gibt es in Belgien und Frankreich bereits ähnliche Konzepte für die Erstattung von digitalen Medizinprodukten. Eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission, die EU Digital Medical Device (DMD) Arbeitsgruppe, erarbeitet, inwiefern ähnlich zum EU-weit gültigen CE-Kennzeichen auch EU-weit harmonisierte Kriterien bei der Erstattung von Medizinprodukten eingeführt werden können (s. auch Prof. Klucken – Jahrestagung SVDGV). Ein wesentlicher Schritt in Richtung eines erleichterten Zugangs von Patienten zu digitalen Lösungen in ganz Europa!